Ritter Hans von Pouch
und der silberne Sarg im Kloster zu Niemegk
Mit finsterer Miene stand der Ritter Hans von Pouch auf seinem Turm. Der Durst brannte ihm in den Gedärmen, aber in Pouch war kein Schluck Bier oder Wein aufzutreiben. Alles hatte der Ritter bereits vertilgt. Auch sein Geld war zur Neige gegangen. Deshalb konnte er sich das, wonach sein Körper so dringend verlangte, auch nicht kaufen. Bier und Wein, Würfel- und Kartenspiele hatten seinen Besitz aufgefressen. Selbst ein Knappe, der sich immer noch hatte etwas einfallen lassen, um den Riesendurst seines Herrn zu stillen, ließ sich nicht mehr sehen, seit der ihm einen Schemel in das Kreuz geworfen hatte.
Weit schweifte der Blick des Ritters über die Muldeaue. Jenseits des Flusses lag ein blühendes Anwesen, ein Kloster, das der Fleiß seiner Nonnen prächtig gedeihen ließ. Besonders beliebt und verehrt war die Äbtissin Ida gewesen. Als sie gestorben war, hatten die Nonnen keine Kosten gescheut und sie in einem silbernen Sarg beigesetzt. Der Sarg kam dem Ritter nicht aus dem Sinn. "Was braucht die alte Dame einen silbernen Sarg. Die ist schon lange tot. Ich aber lebe und könnte und könnte viele Silberlinge daraus schlagen", so waren seine Gedanken.
Die Vorstellung, dann nie mehr dürsten zu müssen, beflügelte seine Tatkraft. Er erinnerte sich an seinen Großvater. Der hatte ihm von einem unterirdischen Gang erzählt, der von einem Seitenraum des Burgverließes aus unter der Mulde hindurch zum Kloster Niemegk führt. "Wenn Du in Not bist, erinnere Dich an ihn!" hatte der Großvater gesagt.
"Wohlan! Ich bin in Not! Ich habe Durst!" sagte sich der Ritter. Und da er ein Mann schneller Entschlüsse war, legte er die alte angerostete Rüstung seines Großvaters an und stieg hinab in das Burgverließ seines Turmes. Er fand auch den Eingang eines Ganges und machte sich auf den Weg.
Lange umgab ihn Modergeruch. Zeitweilig musste er bis über die Knie im Wasser waten. Dann hörte er Stimmen. Lauschend blieb er stehen. Es war der Gesang der Nonnen in ihrer Kirche, den er vernahm. Der Ritter freute sich. Er war am Ziel. Die Nonnen in der Kirche würden ihn bei der Suche nach dem silbernen Sarg nicht stören. Der Ausgang des Ganges befand sich im Vorratskeller der Nonnen. Der Ritter trank sich erst mal satt an dem köstlichen Wein, den die Nonnen für die Abendmahlhandlungen vorgesehen und hier gelagert hatten. Dadurch wurde sein Tatendurst noch mehr beflügelt.
Er suchte den Sarg, aber er konnte ihn nicht finden. Je länger er suchte, um so grimmiger wurde er. Die Nonnen hatten den Ort, wo sich das Grab ihrer Äbtissin Ida befindet, geheim gehalten. Niemand außer ihnen kannte den Ort, auch sein Großvater nicht, der sonst alles gewusst und alles gekonnt hat. Auch er hatte ihm damals den Ort nicht nennen können, erinnerte sich der Ritter. Immer ungeduldiger wurde er. Auch in den Nebenräumen der Kirche konnte er den Sarg nicht finden. Wut kochte in ihm hoch. Fluchend stampfte er kräftig mit dem Fuße.
Da tat sich der Boden unter ihm auf und er stürzte in einen Hohlraum. Polternd folgten ihm einige Mauersteine nach. Als sich der Ritter vom ersten Schreck erholt hatte, wollte er aufstehen. Aber ein starker Schmerz in seinen Beinen hinderte ihn. Auch fand er sich auf einem länglichen Etwas liegend. Er betastete es und bekratzte es und wollte seinen Augen nicht trauen. Unter der Schwärze der Oberfläche leuchtete Silberglanz. Er lag in der Gruft der Äbtissin auf ihrem silbernen Sarg. Doch dann wurden die Schmerzen in seinen Beinen stärker. Beide hatte er gebrochen. Laut rief er um Hilfe. Die Nonnen fanden ihn und zogen ihn aus der Gruft. Bald hatten sie herausgefunden, weshalb er in ihr Kloster gekommen war.
Sie schienten seine gebrochenen Beine und pflegten ihn gesund. Fünfmal am Tag musste er sich anhören, was für ein schlechter Mensch er sei. Bestehlen hatte er sie wollen. Sie aber vergelten seine Bosheit mit Güte. Auch bekam er siebenmal am Tage einen Krug voll klaren Wassers zu trinken. Noch Jahre später musste er sich schütteln, wenn er daran dachte.
Von seinen Beinbrüchen genesen kehrte der Ritter in seine Burg zurück. Er ließ sofort alle Fenster und Zinnen zumauern, durch die ein Blick zum Kloster Niemegk möglich war. Niemand in seiner Umgebung durfte den Namen Niemegk aussprechen. Durch nichts wollte er an seine Niederlage erinnert werden. In der Sage vom Ritter Hans von Pouch und dem silbernen Sarg der Äbtissin Ida im Kloster zu Niemegk werden regionalgeschichtliche Gegebenheiten in einen zeitlich gerafften Zusammenhang gestellt, der mit der Realität nicht übereinstimmt.
In Niemegk befand sich ein Mönchskloster des Benediktinerordens. Es war den Aposteln Petrus und Paul geweiht. Gegründet wurde es um die Jahre 1097 / 1099 durch Thimo von Wettin, Graf von Brehna, und seiner Gemahlin Ida von Northeim. Thimos Sohn Konrad löste es bereit 1149 / 1150 mit Genehmigung des Papstes auf und führte die Besitzungen dem Augustiner Chorherrenstift auf dem Petersberg zu. Obwohl einige Autoren (Jacobs 1867, Böttger / Winter 1868, Größler 1907) von einem Jungfrauenkloster in Niemegk sprechen, war es mit Sicherheit ein Mönchskloster.
Die Annahme, es sei ein Nonnenkloster gewesen, ist wahrscheinlich auf das Wirken der Gräfin Ida von Northeim zurückzuführen. Sie hat das Kloster nach dem Tode ihres Gemahls weiter betreut. Der Ort Niemegk wurde 1978 devastiert und in den folgenden Jahren durch den Braunkohletagebau Goitzsche überbaggert. Archäologen und Denkmalpfleger konnten vorher die Ostkirche genauer untersuchen. Nachgewiesen wurde die Kirche der Kirchengemeinde Niemegk als letzte Klosterkirche, erbaut um das Jahr 1136. Sie befand sich am Standort der ersten Klosterkirche Thimos, die ein Schadfeuer vernichtet hatte. Thimo hatte seine Kirche an einem bereits geweihten Ort errichtet, denn als Vorgängerbau befand sich hier eine Taufkapelle, die archäologisch nachgewiesen werden konnte. Einen silbernen Sarg hat es in Niemegk nicht gegeben.
Zu Zeiten des Klosters waren die Särge für die verstorbenen weltlichen und geistlichen Herrinnen und Herren in Sand- oder Kalksteinblöcke gehauene, dem menschlichen Körper angemessene trogartige Vertiefungen mit schweren Steinplatten als Deckel. Nur wenige Bürger waren von der Existenz des silbernen Sarges überzeugt und haben nach ihm gesucht. Auch Geschichten von der angeblichen Auffindung des Sarges wurden verbreitet. So ist im Bitterfelder Tageblatt des Jahrganges 1900 nachzulesen, im Niemegker Dorfkrug hätten Studenten von einem Niemegker Bauern erfahren, der Sarg wäre von ihm gefunden und insgeheim in Wittenberg verkauft worden. Der Händler aber hätte ihn dabei übervorteilt. Deshalb sei er ein armer Bauer geblieben. Zu Zeiten des Niemegker Klosters waren die Poucher Schlosstürme noch nicht erbaut.
Der Rote Turm erhielt seine jetzige Form erst in der zweiten Hälfte des 15.Jahrhunderts. Ursprünglich trug er einen Zinnenkranz. Mauernischen in der oberen Etage des Turmes zeugen noch heute von ehemaligen Zinnen. Neben diesem Bergfried hatte die Poucher Burg noch zwei Wohntürme. Einer ist heute noch vorhanden. Der zweite brannte 1816 nach Blitzschlag ab. In seinem als Vorratsraum genutzten Kellergeschoss soll sich der Eingang zum unterirdischen gang befinden. Viele Geschichten über unterirdische Gänge werden im Landkreis Bitterfeld erzählt. Nachgewiesen werden konnte nicht einer. Die "Gänge" erwiesen sich bisher immer als Kellergewölbe oder Grüfte. Bei Umbettungsarbeiten wurden 1978 nahe der Niemegker Kirche mehrere Grüfte aufgefunden. Auch die Überbaggerung der Ortslage Niemegk und der Muldeaue hat nicht zum Nachweis eines Ganges geführt. Das Anlegen eines Tunnels unter der Mulde hindurch wäre auf Grund der geologischen Verhältnisse im Mittelalter auch nicht möglich gewesen. Die Sage zeigt auch moralische Wertungen. Der Widerspruch zwischen weltlicher und geistlicher Macht ist durch den gesetzlosen Ritter Hans von Pouch und die fleißigen gottesfürchtigen Nonnen im Kloster Niemegk dargestellt. Der silberne Sarg symbolisiert auch totes Geld, Geld, das nicht arbeitet. Der unterirdische Gang in dieser Sage führt tief unter der Erdoberfläche entlang, dort, wo böse Geister hausen und wohin der Teufel verbannt ist. Die Klosterkirche aber erhebt sich in die Klarheit des Himmels.